AM113 – Brief an Walter Gropius
Wien, Sonntag, 24. September 1911


24.

Mein . Eben höre ich – Du telephonirst. Habe ich Dir Angst gemacht? Das thut mir furchtbar leid.

Ich bin sehr stark verkühlt. –

Das Wiener Klima – die große Nasskälte – alles zusammen hat mich sehr marode gemacht. —

Aber Liebes – ich muss Dich sehen. —

Ich habe so ein Gefühl von Nutzlosigkeit auf dieser Welt. –

Heimatlos bin ich! –

Schreibe mir – – warum

lässt Du nichts von Dir hören? Ich suche jetzt mit Macht [eine] Wohnung und wenn ich eine habe – dann musst Du kommen – und dann wollen wir ein paar Tage hier zusammen verleben. – Hier bin ich Gast und unfrei. – Aber schreibe —

Schreibe! —

Dein Stillschweigen tödtet mich.

Rede – rede – zu mir. —

Warum habe ich Dich in Toblach nicht mehr gesehen?


Eben ist Dein lieber – süßer Brief gekommen. Tröste Dich – die Aufführung hätte mich wahrscheinlich nur wahnsinnig aufgeregt und – es ist besser so. —

Ich halte mich jetzt sehr ruhig und werde bald ganz wohl sein. Anfang – oder Mitte October werde ich in Paris sein. Unbedingt will ich da mit Dir zusammen sein. —

Ich werde wohl mit einer


Freundin hinfahren[,] aber dort ist sie zu Hause und ich werde mich die ganzen Tage freihalten — und die Nächte. —

Was wir damit anfangen, ist unsere Sache. —

Vielleicht so wie unsere allererste Nacht in Tobelbad – vielleicht auch anders. Alles – wie es das Gefühl eingibt — das hat immer Recht recht.


Also – – lebe [–] athme – arbeite – und denke an mich. Was für einen Grund hattest Du[,] auf Dich Groll zu haben? —

Schreibe mir das und allesohne Scheu! Vertrau’ mir voll. Denk’ an unsere Pariser Reise. Das wäre doch schön! Ich möchte, dass Du dort absteigst[,] wo ich wohne.

Du sollst alles erfahren, sobald ich Genaues weiß. —


Wie wars in Bologna? Hast Du alles von dort für Dich finden können? Mich interessirt doch alles. Warum lässt Du mich so gar nichts wissen?

Schreibe

Und alles – mein liebes Herz – alles – gibt es denn etwas, das Du mir nicht sagen kannst.

?


Apparat

Überlieferung

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Quellenbeschreibung

1 Bl. (2 b. S.) und 1 DBl. (4 b. S.) – Notenpapier mit Aufdruck: „J.E. & Co. | Protokoll Schutzmarke | No 8 | 24 linig.“ (, ); kleine Bleistiftskizze ().

Beilagen

Umschlag, , Berlin-Wilmersdorf | Nicolsburgerplatz 4. G. IV | Herrn Walter Gropius; PSt. (wahrscheinlich lt. , S. 1140, y 6l20): 19/1 WIEN 117 | 25.IX.11 – 5 | * 3b *; von WG mit einer 4b versehen (Zur Nummerierung von Alma Mahlers Briefumschlägen). Von der Post mit einer großen „20“ in blauem Buntstift beschriftet, daneben violetter Stempel: „Porto“ (verwischt). Verweist auf unzureichende Frankierung (Gewicht ursprünglich höher als 20g), frankiert nur mit 10 Heller; fremdschr. Datierungsversuch nach Übergabe an : „25.IX.11“.

Druck

Erstveröffentlichung.

Korrespondenzstellen

Beantwortet durch WG207 vom 26. September 1911 (Ich weiß nicht weshalb […], aber ich habe eine Scheu vor Wien): Ich suche jetzt mit Macht [eine] Wohnung und wenn ich eine habe – dann musst Du kommen und WG209 vom 26. oder 27. September 1911 (Ich habe Dir wenig geschrieben aber um so mehr gedacht): Schreibe! — Dein Stillschweigen tödtet mich.

Datierung

Datiert durch AM und Poststempel: 24. September 1911.

Themenkommentar

Übertragung/Mitarbeit


(Renita Steinwand)
(Elisabeth Behnle)


A

Eben höre ich – Du telephonirst. – wahrscheinlich von einer Telefonbeamtin, s. , S. 220.

B

Hier bin ich Gast – im Haus der Eltern ( und ).

C

Brief – aus dem Entwurf WG204 vom 23. September 1911.

D

Aufführung – s. AM103 vom 28. August 1911: Fried’sche Aufführung.

E

Freundin – wahrscheinlich Schwester, , mit der in Paris den Bildhauer in seinem Atelier besuchen und erstmals die Marmorausführung eines der sehen sollte (, S. 152 und Anm. 43). Siehe auch AM127 vom 2. Januar 1912: Kopf.

F

Dreifach unterstrichen.

G

Bologna – Bereits Ende August hatte den Vorschlag gemacht, gemeinsam nach Bologna zu fahren, s. WG193 vom 24. bis 27. August 1911, wozu es aber nicht kam. Für den fraglichen Zeitraum finden sich keinerlei Hinweise auf eine Reise nach Bologna.